Gambio wird durch ECommerce One übernommen – das kann gut werden
Vor einigen Tagen lies in die Meldung, dass Gambio nun durch ECommerce One übernommen wird, in der Gambio-Community aufhorchen. Natürlich waren auch einige Fragen und Befürchtungen laut, was sich nun alles ändern würde.
Das haben wir uns mal angeschaut und können sagen: Das kann eine gute Sache werden.
Das war Gambio bisher
Für alle, die geglaubt haben, dass Gambio bisher der nette kleine Shopsoftwareladen von nebenan bzw. aus Bremen war, sei hier gesagt: Gambio wurde schon einmal verkauft und es gab auch bisher schon einen millionenschweren Investor. Der Investor war bisher Eric G. Sarasin mit verschiedenen seiner Beteiligungsfirmen. Eric Sarasin dürfte den Schweizer Lesern als Mitglied der Sarasin-Familie bekannt sein, die u.a. eine Weile Eigentümer des FC Basel waren und mit ihrer Familienbank „Safra Sarasin“ eine unrühmliche Rolle im Rahmen des Cum-Ex-Skandals gespielt haben. Nach dem Abschluss der Gerichtsprozesse betätigte bzw. betätigt sich Eric Sarasin als Investor bei diversen Firmen und Start-ups, von denen Gambio ab dem 07.10.2016 eines war. 100 % Eigentümer der Gambio GmbH war die Gambio Holding AG in der Schweiz.
Daneben gab es auch noch die Gambio Service AG, an gleicher Adresse wie die Gambio Holding AG, deren Ziel vor allem die Cloudshops zu sein scheinen, welche am 04.06.2019 mit einem entsprechenden Investment gefördert wurden. Diese ist zum Zeitpunkt des Schreibens in Liquidation, vermutlich auf Grund des Verkaufs.
Ebenfalls dazu gehört Gamb.io, in welchem das Blockchain-Projekt von Gambio steckt.
Es gibt sicher noch so einige Details, die man rund um diesen ersten Verkauf im Jahr 2016 aufdröseln könnte, aber dies soll hier nicht Gegenstand sein. Solcherlei Firmengeflechte sind erstmal weder etwas Ungewöhnliches noch sonst wie bemerkenswert, da Investments in diesen Größenordnungen in der Regel genau so laufen. Das Aufteilen in verschiedene Holdings, Service usw. Firmen macht oft verwaltungstechnisch durchaus Sinn. Aber ja, sie sind natürlich auch dazu da ggf. Gewinne zu optimieren oder legal Steuern zu sparen.
Warum beschreibe ich das ganze? Ganz einfach. Von diesem Verkauf der beiden Gründer und bisherigen Eigentümer Daniel Schnadt und Nonito Capuno an die Gruppe um Eric Sarasin haben die Gambio Endkunden erstmal auch nichts mitbekommen, weil sich daraus nichts Fundamentales geändert hat.
Es ist aber, soweit darf man an dieser Stelle sicher gehen, sicher so, dass die bisherige Struktur vor allem als Zweck hatte, mit dem Investment möglichs viel Geld zu verdienen. Das zeigt schon die starke Fokussierung auf die, leider nach wie vor nicht so sinnvolle, Cloud. Jeder Cloudkunde dürfte in etwa doppelt so viel Gewinn abwerfen wie ein self hosted Kunde. Der Fokus lag demnach vermutlich auf der Steigerung von Umsatz und Gewinn, was legitim, aber eben selten nachhaltig oder technisch sinnvoll ist.
Die neuen Eigentümer von Gambio
Die ECommerce One AcquiCo GmbH ist scheinbar noch ein relativ unbeschriebenes Blatt. Das verwundert auch nicht, da sie erst Mitte 2021 gegründet wurde. Die GmbH ist eine Fusion aus Via Online und dem Startup Dreamrobot. Via Online ist das Unternehmen hinter dem recht bekannten System „Afterbuy“, welches als ERP System an Onlineshops angeschlossen werden kann und diverse Funktionen für Gewerbetreibende beinhaltet.
Ebenfalls zum ECommerce One Universum gehören Baygraph.io, welches sich mit eBay Rankings und Optimierung beschäftigt, DreamRobot, eine WaWi Software und nun auch Gambio. Beachtet man Aussagen, die Geschäftsführerin Daliah Salzmann in verschiedenen Interviews gegeben hat, ist davon auszugehen, dass es sicher noch ein paar Zukäufe zur Erweiterung dieses Netzwerkes geben wird.
Die ECommerce One AcquiCo GmbH wiederum ist nach unseren Recherchen im Besitz der ECommerce One HoldCo GmbH, welche sich scheinbar eine Adresse mit dem Finanzinvestor Oakley Capital teilt. Oakly Capital sitzt in London und investiert u.a. auch bei HostEurope, Contabo, Parship und Verivox. Alles keine unbekannten Unternehmen in der Webbranche, die in den letzten Jahren gute Wege zurück gelegt haben. Es ist also davon auszugehen, dass Oakly nicht nur viel Geld zum Investieren hat, sondern auch noch weiß wie man das ganze sinnvoll angeht. Etwas, was nicht selbstverständlich ist, wenn man sich einmal als bekanntes Beispiel aus dem deutschen Fußball auf der einen Seite Herta BSC mit den Windhorst Millionen anschaut und auf der anderen Seite RB Leipzig und RB Salzburg mit den Red Bull Millionen.
Schaut man sich das Führungsteam von ECommerce One an, findet man da einige Gesichert, die man auch an anderer Stelle kennt.
Da wäre zu nennen Felix Hötzinger, der Geschäftsführer der Gambio GmbH, sowie ehemaliger oder aktueller Geschäftführer verschiedener Sarasin Investments. Da wäre Sasha Günther, Partner bei Oakley Capital und ehemaliger Vice President bei ProSiebenSat1. Natürlich Daniel Schnadt, einer der Gründer von Gambio, um nur einige wenige zu nennen.
Insgesamt also ein Investor und Inhaber, der einerseits mit Gambio ein wichtiges Puzzleteil hin zu vollem Service rund um E-Commerce hat und andererseits Know-how mitbringt, um Gambio in eine sinnvolle Richtung zu entwickeln.
Darum ist der neue Eigentümer wahrscheinlich eine gute Nachricht
Gambio ist in den letzten Jahre stark gewachsen. Als Fork des kostenlosen Open Source E-Commerce Systems XT:Commerce erst in einer sinnvollen Nische aus eigener Kraft und später dann mit Investor, um großen Namen wie Shopware oder Shopify Konkurrenz zu machen. Dabei ist Gambio aber, vielleicht auch wegen des massiven Wachstums, in den letzten Jahre über einige ordentliche Bordsteine gerumpelt.
Das geht los bei der Anbindung von diversen Warenwirtschaftssystemen, die in den meisten Fällen mehr schlecht als recht funktioniert. Ob dies jetzt an der schwierigen Entwicklung der Rest-API lag, an den Veränderungen in der Datenbank oder weil die WaWi-Anbieter selbst komische Vorstellungen hatten, sie dahingestellt. Fakt ist aber, dass aus diversen Gründen nur eine Handvoll WaWi’s sauber anzubinden sind und bekannte WaWi-Systeme wie JTL den Support sogar demnächst ganz einstellen.
Ebenfalls ein Problem sind diverse Altlasten aus XT:Commerce, wie die Attribute. Hier hat es Gambio erst vor kurzem (mit Version 4.4/4.5) geschafft, mit den Variantenartikeln etwas zu schaffen, was sowohl Eigenschaften als auch Attribute gut kombiniert. Ein Schritt, der aber insgesamt eigentlich viel eher hätte kommen müssen.
Auch, dass die Cloud bisher keine Möglichkeit bietet, sie mit Erweiterungen à la Modulen wie bei Shopware oder Plugins bei WordPress/WooCommerce zu erweitern, ist im Jahr 2022 ein schwaches Signal. Ein Punkt, welcher nach Aussagen am Gambio Stammtisch durch Gambio Mitarbeiter, auch intern als nicht zufriedenstellend beschrieben wird.
Man könnte an dieser Stelle weitermachen mit der unzureichenden Möglichkeit das System horizontal zu skalieren oder, dass der Styleedit noch einiges an Schwächen aufweist, die ihn eher wie eine Sparversion eines guten visuellen Editors wirken lassen, als wie ein ausgereiftes System, aber das führt hier zu weit.
Fakt ist auf jeden Fall, dass Gambio schon seit Jahren ein paar Großbaustellen hat, die bisher nicht geschlossen wurden. Keine Baustellen, die eine Straße komplett sperren, aber statt auf einer gut ausgebauten Autobahn wird bei Gambio der Verkehr oft einspurig über die Standspur geleitet. Gambio ist ein hervorragendes System, das im Vergleich mit Shopware und Shopify nach wie vor sehr gut abschneidet. Aber die oben genannten Baustellen ließen Gambio in den letzten Jahren etwas den Anschluss verlieren. Aus unserer Sicht hat besonders Shopware an vielen Stellen die Nase vorn.
Und genau deswegen ist die Übernahme wahrscheinlich eine gute Nachricht. Sowohl der neue Investor, als auch die neue Eigentümerin haben ein großes Interesse daran, dass Gambio nicht nur profitabel ist, sondern vor allem technisch ganz vorne mitspielt. Wichtiger als maximale, kurzfristige Gewinne dürfte die Lösung technischer Probleme sein, um Gambio als Cloud Version variabel und das ganze System gut integrierbar in Afterbuy und DreamRobots zu machen. Daneben werden die self hosted Systeme sicher als weiterer Geschäftsbereich bestehen bleiben.
Vorstellbar ist sicher eine Aufteilung in Cloud und self hosted Systeme mit Grundversion und Enterprise Version, mit technischen Besonderheiten zur Skalierung. Also Gambio als Positionierung genau zwischen Shopware und Shopify und für beide eine echte, wahrscheinlich günstigere, Alternative zu sein.
Als langjähriger Partner sehen wir daher den nächsten Monaten und Jahren mit Spannung und Vorfreude entgegen. Hoffen dabei aber natürlich, dass die Partner diesmal direkt mitgenommen werden, um eine Win-Win-Win-Situation für alle Seiten zu schaffen. Nur im Dialog mit den Partnern, kann man ein schlagkräftiges Ökosystem aufbauen, welches für E-Commerce-Betreiber von entsprechendem Interesse ist.

Rico ist Gründer und Inhaber von Orange Raven. Er ist seit über 10 Jahren als Marketing Experte (Studium Uni) speziell für Gambio und WordPress unterwegs.